Rechtsberatung & Risikomanagement
für Unternehmer, KMU und Startups

Veröffentlicht am 3. März 2020

Coronavirus-Epidemie: Ein Fall höherer Gewalt? Vertragsrechtliche Folgen

Einleitung

Am 28. Februar 2020 hat der Bundesrat aufgrund der aktuellen Situation und der Ausbreitung des Coronavirus die Situation in der Schweiz als «besondere Lage» gemäss Art. 6 Abs. 1 Epidemiengesetz (EpG, SR 818.101) eingestuft. Eine besondere Lage liegt vor, wenn:

a. die ordentlichen Vollzugsorgane nicht in der Lage sind, den Ausbruch und die Verbreitung übertragbarer Krankheiten zu verhüten und zu bekämpfen, und eine der folgenden Gefahren besteht:

  1. eine erhöhte Ansteckungs- und Ausbreitungsgefahr,
  2. eine besondere Gefährdung der öffentlichen Gesundheit,
  3. schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft oder auf andere Lebensbereiche;

b.  Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgestellt hat, dass eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite besteht und durch diese in der Schweiz eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit droht.

Infolge dessen und gestützt auf Art. 6 Abs. 2 Buchstabe b EpG hat der Bundesrat die Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19, SR 818.101.24) am gleichen Tag in Kraft gesetzt. Danach sind öffentliche und private Versammlungen von mehr als 1000 Personen verboten und bei solchen mit weniger als 1000 Personen muss der Veranstalter zusammen mit der zuständigen kantonalen Behörde eine Risikobeurteilung vornehmen.

Im Falle, da sich die Situation und die Ausbreitung verschlimmern würde, würde diese als «ausserordentliche Lage» im Sinne von Art. 7 EpG eingestuft. Diese Einstufung würde einschneidende Folgen für die Wirtschaft zeitigen.

In diesem Kurzbeitrag sollen für Unternehmen die wichtigsten Fragen bezüglich vertragsrechtlicher Konsequenzen mittels Q&As erläutert werden. Die arbeitsrechtlichen Konsequenzen werden in einem in Kürze erscheinenden Beitrag erläutert.

Q 1: Die Verbreitung des Virus bzw. die angeordneten Massnahmen gegen die Verbreitung kann dazu führen, dass der vertraglich vereinbarte Liefertermin nicht eingehalten werden kann. Was passiert in diesem Fall?

Vordergründig steht ein Lieferverzug als Folge der Situation vor. Ob sich der Lieferant auf höhere Gewalt berufen kann, hängt vorerst von der vertraglichen Vereinbarung ab. In Lieferverträgen sind solche Klauseln in der Regel Standard.

Begriff der höheren Gewalt

Ereignisse höherer Gewalt, auch Force Majeure genannt, sind solche, die aussergewöhnlich, unabhängig vom menschlichen Verhalten sind bzw. ausserhalb des Einflussbereichs einer Partei liegen, von aussen einwirken sowie unvorhersehbar und unabwendbar sind. Derartige Ereignisse führen dazu, dass eine Vertragspartei dauernd oder vorübergehend nicht mehr vertragsgemäss erfüllen kann.

Rechtsfolgen bei vertraglicher Regelung der höheren Gewalt

Die Parteien können vertraglich die Ereignisse definieren, die als höhere Gewalt gelten sollen. Epidemien werden in der Regel als solche definiert. Sofern nicht anders vereinbart, führt der Eintritt eines so definierten Force-Majeure-Ereignisses entweder zur dauerhaften oder zur temporären bzw. partiellen Befreiung von Lieferpflichten. Eine Force-Majeure-Klausel kann dementsprechend die Gewährung einer Nachfrist, die Suspendierung, ein Kündigungsrecht und/oder die Befreiung von Schadenersatzpflichten vorsehen. Wenn eine solche Klausel vor Ausbruch der Epidemie vereinbart wurde, entsteht weder eine Diskussion darüber noch ob, der Schuldner bzw. Lieferant in Lieferverzug gerät. Es empfehlt sich daher, sich auf jeden Fall darauf zu berufen.

Rechtsfolgen bei fehlender vertraglicher Regelung

Ohne vertragliche Force-Majeure-Klausel richtet sich die Rechtslage nach dem auf das fragliche Geschäft anwendbaren Recht.

Das Schweizer Recht ist wortkarg und lässt viele Fragen unbeantwortet. Nur im Werkvertragsrecht findet sich eine Bestimmung, Art. 373 Abs. 2 OR, wonach bei ausserordentlichen Umständen, die nicht vorhergesehen werden konnten und welche die Fertigstellung des Werks hindern oder übermässig erschweren, der Richter eine Preiserhöhung oder eine Vertragsauflösung bewilligen kann. Selbstverständlich können die Parteien eine solche Regelung einvernehmlich anwenden, ohne den Richter anzurufen. 

Bei anderen Vertragsverhältnissen als dem Werkvertrag greift demgegenüber je nachdem Art. 97 oder 119 OR (Art. 119 OR aber nur soweit, als Nutzen und Gefahr nicht bereits vor Erfüllung an den Gläubiger übergehen wie z.B. beim Kaufvertrag, bei dem Nutzen und Gefahr bei Vertragsschluss und nicht erst bei Lieferung der Kaufsache übergeht). Nach Art. 97 OR trifft den Schuldner bei Fällen höherer Gewalt kein Verschulden für die Nicht- und/oder Schlechterfüllung bzw. für den Lieferverzug, weshalb er weder schadenersatzpflichtig ist noch – selbst bei einer Mahnung – in Verzug gerät. Da in diesem Fall die Lieferung unverschuldet unmöglich geworden ist, gilt die Forderung vorbehältlich Art. 119 Abs. 3 OR als erloschen; eine Schadenersatzpflicht besteht nicht. Der so freigewordene Schuldner ist allerdings gehalten, die bereits empfangene Gegenleistung sprich Geldleistung zurückzuzahlen.

Nach Wiener Kaufrecht, auch CISG genannt, das mangels ausdrücklichen Ausschlusses auf internationale Kaufverträge anwendbar ist, kann sich eine Partei von den Konsequenzen der Nichterfüllung (worunter auch der Verzug fällt, Anm. d.R.) befreien, «wenn sie beweist, dass die Nichterfüllung auf einem ausserhalb ihres Einflussbereichs liegendem Hinderungsgrund beruht und dass von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden» (Art. 79 Abs. 1 CISG). Vorausgesetzt ist allerdings, dass sich die Partei, die sich darauf beruft, der anderen innerhalb einer angemessenen Frist nach Bekanntwerden des Hinderungsgrunds «den Hinderungsgrund und seine Auswirkung auf ihre Fähigkeit zu erfüllen» (art. 79 Abs. 4 CISG) mitteilt.

 Fazit

  • Unabhängig von der gesetzlich anwendbaren Regelung, die mehr oder weniger ausgeprägt auf die aktuelle Epidemie-Situation anwendbar ist, dürfte in den wenigsten Fällen eine Vertragsauflösung zweckmässig sein, selbst wenn dies gesetzlich vorgesehen ist. Empfehlenswerter wäre vielmehr, dass die Parteien eine für beide akzeptable Lösung aushandeln.

Q 2: Kann ein Kunde von seinem Lieferanten Schadenersatz wegen Lieferverzögerung verlangen?

Unter den gegebenen Umständen der Verbreitung des Virus dürfte die Abwälzung von allfälligen Schäden des Kunden auf den Lieferanten mangels dessen Verschuldens nicht möglich sein.

Eine der Grundvoraussetzungen der Schweizer Rechtsordnung (so auch in den meisten ausländischen Rechtsordnungen) für die Haftung aus Vertrag ist ein schuldhaftes Verhalten wie z.B. Fahrlässigkeit. Das heisst, die Lieferverzögerung müsste zumindest fahrlässig verursacht worden sein. Durchdachte Lieferbedingungen sehen dasselbe vor und schliessen darüber hinaus die Haftung für leichtfahrlässig verursachte Schäden aus. Ein infolge der Epidemie zurückzuführender derartiger Personalausfall, der die Produktion und/oder die Lieferung verzögern würde, oder eine zwecks Eindämmung der Virusverbreitung behördlich angeordnete Betriebsschliessung sind eindeutig unverschuldet. Daraus folgt, dass jede Partei ihren eigenen Schaden trägt.

Wie in Q 1 aufgeführt, stellt das Vorliegen höherer Gewalt ein Entlastungsgrund dar, so dass sich die betroffene Partei auf fehlendes Verschulden berufen darf.

 Fazit:

  • Die Haftung aus Vertrag und somit auch die Haftung aus Lieferverzug (Verzug) setzt Verschulden des Schuldners – hier des Lieferanten – voraus. Ereignisse höherer Gewalt sind Entlastungsgründe, weshalb der Kunde seinen Lieferanten nicht belangen kann.

Q 3: Wer übernimmt die Kosten des Produktionsausfalls?

Zwei Sachverhalte sind beim Produktionsausfall zu unterscheiden:

Erstens, rührt der teilweise oder gänzliche Produktionsausfall daher, dass ein Zulieferer Teile und/oder Material überhaupt nicht oder verspätet liefert, beantwortet sich die Frage nach der Kostenübernahme danach, ob den Zulieferer ein Verschulden dafür trifft. Setzt der Zulieferer eine behördlich angeordnete Massnahme zur Eindämmung der Coronavirus-Verbreitung, trifft ihn kein Verschulden an dem dadurch in ihrem Unternehmen entstanden Produktionsausfall. Somit können die Kosten des Produktionsausfalls nicht auf ihn abgewälzt werden. Dasselbe gilt sinngemäss, wenn beim Zulieferer wegen der Epidemie derart viel Personal ausfällt und er deswegen in Lieferverzug gerät, obwohl er alle notwendigen Massnahmen dagegen ergriffen hat. Der daraus entstandene Schaden kann gegebenenfalls über eine entsprechende Versicherung ersetzt werden.

Zweitens, fällt die Produktion in der eigenen Unternehmung teilweise oder gänzlich aus wegen Epidemie bedingten Personalausfalls, übernimmt vorbehältlich einer entsprechenden Versicherungsdeckung niemand die Kosten des dadurch entstandenen Schadens.

Fazit

  • Trifft den Zulieferer kein Verschulden an der den Produktionsausfall verursachenden Lieferverzögerung wegen Befolgung von behördlich angeordneten Massnahmen oder wegen Epidemie bedingten erheblichen Personalausfalls, können die Kosten nicht auf ihn abgewälzt werden.
  • Bricht die Produktion teilweise oder gänzlich in der eigenen Unternehmung wegen einer behördlich angeordneten Betriebsschliessung zwecks Eindämmung der Epidemie oder eines epidemie-bedingten Personalausfalls, ist der daraus entstehende Schaden vorbehältlich einer entsprechenden Versicherungsdeckung nicht gedeckt.

Q 4: Deckt die Betriebshaftpflichtversicherung einen Produktionsausfall?

Ob eine Betriebshaftpflichtversicherung Produktionsausfälle deckt, die auf Ereignisse höherer Gewalt wie die vorliegende Epidemie zurück zu führen sind, hängt von der konkreten Police ab. In der Regel decken Betriebshaftpflichtversicherungen derartige Schäden nicht, weil den Versicherungsnehmer bzw. das vom Produktionsausfall betroffene Unternehmen kein Verschulden trifft. Ungeachtet davon sind Schäden infolge höherer Gewalt in der Regel ohnehin von der Versicherungsdeckung ausgeschlossen. Diese können aber, sofern eine Versicherungsgesellschaft es anbietet, in einer Zusatzversicherung versichert werden.

 Fazit

  • Betriebshaftpflichtversicherungen decken Produktionsausfälle infolge höherer Gewalt in der Regel nicht. Massgebend ist jedoch der konkrete Inhalt der Versicherungspolice.
  • Schäden im allgemeinen und Produktionsausfälle insbesondere aus höherer Gewalt können möglicherweise, soweit eine Versicherungsgesellschaft dies anbietet, mittels einer Zusatzversicherung gedeckt werden.
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